Interview mit Marc Elsberg zu ZERO

Marc Elsberg
© Lucas Ilgner

1. Worum geht es in Ihrem Thriller ZERO. Sie wissen, was du tust?

In ZERO geht es um den gläsernen Menschen. Wer nichts zu verbergen hat, der hat jede Menge zu befürchten. Das muss die englische Journalistin Cynthia Bonsant erleben, als sie den Tod eines jungen Mannes genauer untersucht.

2. Wie sind Sie auf die Idee zu diesem Roman gekommen?

Das Internet hat mich von Beginn an fasziniert. Schon um die Jahrtausendwende inspirierte mich ein Satz in einem Buch des Soziologen Niklas Luhmann zu einer Science-Fiction-Kurzgeschichte, die nie erschien.

In den folgenden Jahren wurden verschiedene Elemente der Geschichte Realität: Youtube, Smartphones, Facebook ..., auch wenn sie bei mir anders hießen. Und zwar viel schneller, als ich gedacht hatte!

Das Frappierende war: Wann immer ich mit jemandem über die Inhalte sprach, war den wenigsten bewusst, dass uns die Zukunft längst eingeholt hat. Teile davon habe ich schon in BLACKOUT beschrieben. ZERO geht jetzt noch ein paar Schritte weiter. Mit der Kurzgeschichte von damals hat ZERO aber praktisch nichts mehr tun.

3. Welche Szene war für Sie am schwierigsten zu schreiben und warum?

Am schwierigsten zu schreiben waren für mich die meisten Szenen mit der Hauptfigur Cynthia Bonsant. Weil ich in die Haut einer Frau schlüpfen musste. (Lacht) Zum Glück haben mir meine Lektorinnen dabei sehr geholfen!

4. Wenn man ZERO liest, könnte man denken, es handele sich um Science Fiction wie damals Schöne neue Welt von Aldous Huxley oder 1984 von George Orwell. Ist das Szenario, das Sie in ZERO schildern realistisch? Und wird es in naher Zukunft eine Internetplattform geben, die nicht nur alles über uns weiß, sondern auch durch Datenanalyse- und Manipulation unser Verhalten verändern kann?

Wie ja auch die Hauptfigur in ZERO, Cynthia Bonsant, feststellen muss, ist das Szenario in ZERO im Unterschied zu Schöne neue Welt und 1984 zum Großteil schon Realität.

Internetplattformen, die alles über uns wissen, gibt es seit Jahren.

In ZERO begreift Cyn, die alles andere als eine Technikexpertin ist, wie massiv diese Themen nicht nur irgendwelche Computernerds betreffen oder Leute, die bei Facebook posten, sondern jeden einzelnen von uns.

5. Als Sie 2012 angefangen haben, ZERO zu schreiben, war Edward Snowden ein unbekannter Mann und Angela Merkel noch nicht von einer Drohne beobachtet worden. Wie sehr lassen Sie sich beim Schreiben von der Aktualität beeinflussen?

Wie schon bei BLACKOUT hat mich die Realität teilweise eingeholt. Dann musste ich eben manches anpassen. Das hilft aber auch, weil es die Szenarien ja belegt und noch glaubwürdiger macht.

6. Wie stehen Sie zu dem Thema Datenschutz und Datenklau? Denken Sie, dass es problematisch ist, gar alarmierend, dass wir immer mehr zu gläsernen Menschen werden?

Das Thema Datenschutz ist eines der wichtigsten der kommenden Jahre, wenn wir freie Individuen bleiben und die noch bestehenden Reste unserer demokratischen, rechtsstaatlichen, offenen Gesellschaften erhalten wollen. Diese sind nämlich schon ziemlich erodiert.

Gleichzeitig darf man dabei nicht übersehen, dass diese Technologien, wie meistens, auch sehr viele, sehr positive Seiten haben.

Es ist das alte Thema: Wissen ist Macht. Wer das Wissen über unsere Daten hat und darüber, wie man sie auswertet, hat die Macht. Die Frage ist daher, wer die Macht haben sollte. Wer die Regeln macht. Wer bestimmt, was verboten oder erlaubt ist. Ein paar wenige oder viele.

7. Im Thriller sagt ZERO, der meistgesuchte Online-Aktivist der Welt, einmal „Mich erwischt ihr nicht!“ Doch wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten, oder?

Im Gegenteil, zahlreiche Experimente und Studien belegen seit Jahrzehnten: Überwachung macht feige, verletzlich, unsicher, machtlos, austauschbar, aggressiv und mehr. Sie schadet der einzelnen Person und der gesamten Gesellschaft. „The chilling effects of survaillance: Deindivduation and Reactance“ von 1975 oder „Employee stress and health complaints in jobs with and without electronic performance monitoring“ oder ein Experiment von Michael Tomasello das zeigt, wie schon Kinder im Kindergarten lieber lügen, um konform zu erscheinen, sind nur drei Beispiele von vielen.

8. Sind Sie selbst viel im Internet unterwegs? Wie gehen Sie mit digitalen Medien und Angeboten um? Hat sich aufgrund Ihrer Recherchen für ZERO Ihr Online-Verhalten geändert?

Mein Online-Verhalten hat sich etwas geändert. Ich surfe öfter mit TOR, maile wenn möglich verschlüsselt und noch ein paar andere Dinge.

Das Verhalten im Internet macht aber nur einen Bruchteil des Themas aus. Mein Handy ist eine Megawanze, über dessen Bewegungs- und Verbindungsdaten man fast alles über mich ableiten kann. Kreditkartenfirmen, Banken und andere kartenausgebende Unternehmen wissen womöglich vor mir, ob meine Frau schwanger wird oder ich krank werde. Meine Flugdaten kommen noch mehr herum als ich. Autoproduzenten wissen, wann ich wo wie gefahren bin. Smartwatches messen unsere Körperfunktionen, andere Sensoren unseren gesamten Lebenswandel. Wir steuern auf eine „sensorierte“ Welt zu. Das klingt nicht zufällig sehr ähnlich wie „zensuriert“.

Bei der ganzen Geschichte geht es längst nicht mehr nur ums Internet, sondern um jeden Bereich unseres Lebens, bis in die intimsten Details.

9. Was würden Sie Ihren Lesern im Umgang mit digitalen Medien und Online-Angeboten raten?

Wir müssen zu einem emanzipierten Umgang mit Daten in allen Lebensbereichen kommen. Als Einzelne/r kann man sich nur bedingt entziehen, wenn man nicht komplett aussteigen möchte. Es müssen jetzt Gesetze her, die Privatsphäre, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit retten. Einige gibt es sogar schon, aber leider werden sie nicht anständig exekutiert. Andere müssen noch geschaffen werden. Wer in einer freien Gesellschaft leben will, muss sich dazu äußern, unter Verwandten, Freunden, Kollegen und öffentlich, muss jene Politiker wählen, die für eine solche einstehen, die entsprechende Gesetze schaffen und dafür sorgen, dass bestehende befolgt werden.

10. Welcher Figur aus ZERO fühlen Sie sich am nächsten? Der Online-Aktivistengruppe ZERO? Der eher traditionellen Journalistin Cyn? Oder dem Algorithmen-Genie Carl?

Meine Sympathien sind da recht verteilt. Ich mag Cyn dafür, dass sie schließlich bereit ist, sich mit dieser neuen Welt auseinanderzusetzen. Ich mag ZERO, weil sie unhaltbare Zustände aufzeigen und dagegen Widerstand leisten. Ich mag Carl sehr, weil er ein besonders ambivalenter Charakter ist, changierend zwischen brillanter Analytik und extremer Emotionalität. Mein heimlicher Liebling aber ist fast Erben wegen seiner souveränen, klarsichtigen Skrupellosigkeit.